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fehlende Infekte
und Allergien

fehlende Infekte
und Krebs


Die Hygiene Hypothese - Krebs in der Kindheit

Eine Meldung der Zeit vom 25.04.2005:

Kinder, die schon als Babys viel Kontakt mit anderen Kindern hatten, machen auch früh Infektionen durch. Dadurch sind sie weniger gefährdet, an Leukämie zu erkranken. Dies legt eine groß angelegte britische Studie nahe

("Krippenkinder sind besser geschützt", zeit.de, 25.04.2005)

Die in Bezug auf Krebs von der "Hygiene Hypothese" betroffenen Bereiche, sind zum einen Leukämie in der Kindheit und zum anderen Lymphdrüsenkrebs im jungen Erwachsenenalter.

Die Annahme, dass fehlende Infekte in der Kindheit am Lymphdrüsenkrebs beteiligt sind, entstand sehr früh und hat den Namen: "host response"-model.

Die Hypothese für Leukämie in der Kindheit entstand etwa zur selben Zeit wie die Hygiene Hypothese und hat den Namen: "delayed infection"-Hypothese.

Beide Hypothesen sind in der allgemeinen Fassung der Hygiene Hypothese enthalten, wenngleich der Name Hygiene Hypothese vor allem im Hinblick auf Allergien und Autoimmunerkrankungen (Diabetes 1, Morbus Crohn, Multiple Sklerose) verwendet wird. Letztlich kann jede chronisch entzündliche Erkrankung mit der Hygiene Hypothese verbunden werden.

Für Lymphdrüsenkrebs verweise ich auf das Kapitel über fehlende Infekte und Krebs.

Für Leukämie folgt eine chronologische Auflistung wesentlicher Studien.

Leukämie in der Kindheit

Akute Leukämie ist der häufigste bösartige Krebs und insgesamt auch die häufigste schwere Erkrankung in der Kindheit. Das heißt, akute Leukämie gefährdet das Leben des Kindes bereits nach kurzer Zeit. Der Anstieg der Krankheit seit Mitte des 20. Jahrhunderts beträgt ca. 1% pro Jahr.

Die am besten abgesicherte Erklärung für den starken Anstieg der Leukämie in der Kindheit, die zeitgleich der Stand der medizinischen Erkenntnis ist, ist die „delayed infection“-Hypothese von Mel Greaves.
Die „delayed infection“-Hypothese besagt, dass akute Leukämie von einer fehlerhaften Immunantwort auf eine oder mehrere Infektionen ausgelöst wird, die verspätet in der Kindheit auftreten. Verspätet sind sie in Bezug auf eine Phase der Kindheit, die für die Entwicklung des Immunsystems wichtig ist.

1. Studien

Entsprechend der Hypothese müssen Kinder mit mehr Kontakt zu anderen Kindern und dementsprechend mehr Infekten vor Leukämie in der Kindheit geschützter sein, als Kinder ohne diese Kontakte. Und genau das ist der Fall.

(i) Niederlande, 1986
Eine frühe Studie dazu stammt aus den Niederlanden von 1986, dennoch verweist sie bereits auf andere Studien und auf die Übereinstimmung mit dem allgemeinen Risikoprofil für Leukämie in der Kindheit.
Sie zeigt weiter, wie sich Infektionsrisiken verteilen: Erstgeborne, Einzelkinder und Kinder in einem höher gebildeten Elternhaus haben ein geringeres Infektionsrisiko und demzufolge ein höheres Leukämierisiko.

In the Netherlands, a nationwide register of children with leukemia formed the basis for a case-control study (1973-1980). [...] Common colds, periods of fever, and primary childhood infections showed relative risks of 0.8, 0.9, and 0.8, respectively, after adjustment for birth order, family size, social class, and residential space. Furthermore, fewer cases reported infectious diseases which required hospitalization in their first year of life [relative risk 0.6]. The general infection risk profile of children with acute lymphocytic leukemia is compatible with these findings: there were more first-born children among the patients [relative risk 1.8], more children from one-child families [relative risk 1.4], more children of parents with higher education [relative risk 1.2], and more rooms in patient's houses [relative risk 1.4].
(van Steensel-Moll HA, „Childhood leukemia and infectious diseases in the first year of life: a register-based case-control study", 1986)


(ii) Leukämiecluster Elbmarsch – EUROCLUS-Studie
In Deutschland bekannter ist das Leukämiecluster Elbmarsch, aufgrund seiner Nähe zum Kernkraftwerk Krümmel. In der EUROCLUS-Studie wurde versucht, Übereinstimmungen zwischen 240 Leukämie-clustern zu finden, die im Rahmen der Studie identifiziert wurden.

Im Zuge der Auswertung der Studie zeigte sich, dass nicht Umweltfaktoren, wie die Nähe zu Kernkraftwerken, zu Militärflugplätzen oder anderen häufig als Verursacher in Rede stehender Anlagen mit dem Auftreten der Leukämiefälle korrelieren, sondern dass demografische Faktoren die signifikantesten Merkmale darstellen, in denen die unter­suchten Cluster übereinstimmen.
Als typische Regionen für das Auftreten von Leukämie im Kindesalter wurden dünn besiedelte Wohngebiete erkannt, in welche zu zunächst isoliert lebenden Bewohnern neue Mitbewohner aus anderen Wohngebieten hinzuzogen. (Wikipedia, Leukämiecluster Elbmarsch)

Auch die anschließende Kontrollstudie, die im Auftrag von Niedersachsen vom Kinderkrebsregister durchgeführt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung an Leukämie bei immunologischer Iso­lation steigt. (siehe Wikipedia, Leukämiecluster Elbmarsch)

(iii) Die britische childhood-cancer Studie, 2005
Die Studie umfasste 9445 Kinder, von denen 1286 akute Leukämie hatten.
Als ebenfalls übliches Maß dafür, inwieweit ein Kind Infektionen ausgesetzt ist, diente der Besuch von Kindertagesstätten (day-care) und die vorhandene soziale Aktivi­tät während des ersten Lebensjahrs.

Das Ergebnis der Studie war:
Ein erhöhtes Maß an sozialer Aktivität in den ersten Monaten des Lebens reduziert bleibend das Risiko für akute Leukämie.

Objective: To test the hypothesis that reduced exposure to common infections in the first year of life increases the risk of developing acute lymphoblastic leukaemia.
Design and setting: The United Kingdom childhood cancer study (UKCCS) is a large population based case-control study of childhood cancer across 10 regions of the UK.
Conclusion: These results support the hypothesis that reduced exposure to infection in the first few months of life increases the risk of developing acute lymphoblastic leukaemia
(Gilham C, „Day care in infancy and risk of childhood acute lympho­blastic leukaemia: findings from UK case-control study”, 2005)


(iv) Northern California Childhood Leukemia Study, 2005
Das Ergebnis der Studie war, dass der Besuch von Kindertagesstätten mit einem signifikant geringeren Leukämierisiko in Beziehung steht.

In non-Hispanic White children, daycare attendance measured by child-hours was associated with a significantly reduced risk of ALL [Akute lymphoblastische Leukämie]. Compared with children who did not attend any daycare, the odds ratio for those who had > 5.000 child-hours during infancy was 0.42 for ALL and 0.33 for c-ALL. Test for trend is also significant, which supports a dose-response relationship. The magnitude of effect associated with the same number of child-hours was stronger for daycare attendance during infancy than for daycare attendance before diagnosis. In addition, self-reported ear infection during infancy was associated with a significantly reduced risk of c-ALL in non-Hispanic White children.
(Ma X, Buffler PA, Wiemels JL, „Ethnic difference in daycare attendance, early infections, and risk of childhood acute lymphoblastic leukemia.", 2005)

In einer späteren Studie, die auf die Daten dieser Kalifornischen Krebsstudie Bezug nimmt, heißt es:
Evidence of a protective role for infection-related exposures early in life is supported by findings in both the non-Hispanic white and Hispanic populations within the Northern California Childhood Leukemia Study.
(Urayama KY, „Early life exposure to infections and risk of childhood acute lymphoblastic leukemia.", 2011)


(v) Meta-Analyse, 2010
Im Jahr 2010 wurde eine Meta-Analyse über 14 Studien gemacht, das Ergebnis war eindeutig.

METHODS: Searches of the PubMed database and bibliographies of publications on childhood leukaemia and infections were conducted. Observational studies of any size or location and published in English resulted in the inclusion of 14 case-control studies.

CONCLUSIONS: This analysis provides strong support for an association between exposure to common infections in early childhood and a reduced risk of ALL.
(Urayama KY, „A meta-analysis of the association between day-care attendance and childhood acute lymphoblastic leukaemia.", 2010)

2. Studien - Deutschland

Zwei ältere deutsche Studien, die wenig bekannt sein dürften, weil sie eben älter und auf deutsch sind, unterstützen ebenfalls stark die "delayed infection hypothesis".

Zur Erläuterung: Der Rachenraum spielt für viele infektiöse Prozesse eine entscheidende Rolle und früher wurden sehr häufig bei Kindern mit vielen Rachenraum-Infekten die Mandeln entfernt.

In der ersten dieser beiden Studien wurde festgestellt, dass Kinder, die die Mandeln (Tonsillen) noch haben, also weniger Rachenraum-Infekte hatten, hoch signifikant öfter Leukämie haben. In der zweiten dasselbe bei Erwachsenen.

(i) Deutschland, 1975
Die Autoren schreiben:

Unter 305 an Leukämie erkrankten Kindern zwischen 1 und 14 Lebensjahren wurden 8 tonsillektomierte Kinder beobachtet. In einer identischen Vergleichsgruppe, die nach dem Prinzip der "individual matched pairs" zusammen gestellt wurde, fanden sich 40 tonsillektomierte Kinder; dieser Prozentsatz entspricht der Tonsillektomie­frequenz in der alters­entsprechenden Durch­schnitts­bevöl­kerung auf deutschem Boden. Die Differenz zwischen 2,66% Tonsillektomierten bei Leukämie­erkrankungen und 13,11% bei Nicht-Leukämie­kranken ist hoch signifikant. Es stellt sich damit die Frage, ob zwischen Fehlen und Vorhandensein der Tonsillen einerseits und der Häufigkeit des Auftretens einer Leukämie im Kindesalter andererseits ein Kausal­zusammenhang besteht.
(Matzker J, Klasen HP, "Tonsillektomie und Leukämie im Kindesalter", 1975, Laryngologie, Rhinologie, Otologie - Zeitschrift für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Nummer 54, Seite 991-997)

Die Autoren folgerten das scheinbar Naheliegende, dass das Entfernen der Mandeln krebsvorbeugend ist. Es ist eine ältere Studie und damals wussten sie noch nichts von heutigen Erkenntnissen. Dennoch hatten sie einen Fehler gemacht, sie haben nicht hinterfragt, warum die Mandeln entfernt worden sind.

Zu der Ursache der Entfernung der Mandeln schreiben Sie:

Ein weiterer Anlaß die möglichen Zusammenhänge zwischen Tonsillenpathologie und eventuell später auftretenden lebensbedrohlichen Bluterkrankungen zu studieren, bestand für uns in der von uns seit mehr als einem Jahrzehnt erfolgreich geübten Praxis, bei infektiöser Mononukleosis sofort nach Diagnosestellung auf dem Höhepunkt der Erkrankung Tonsillen, Rachenmandel und Seitenstränge zu entfernen und damit eine sonst sehr therapieresistente Erkrankung immer innerhalb weniger Tage klinisch auszuheilen. Wir haben in den letzten 4 Jahren pro Jahr immerhin jeweils über 100 Fälle von Pfeiffer-Angina durch sofortige Adenotonsillektomie behandelt, ohne irgendeine Komplikation zu erleben; immer kam es schnell zum Verschwinden aller klinischen Symptome.

(ii) Deutschland, 1976
In der einer Folgestudie wurden Leukämiekranke im Erwachsenenalter untersucht:

Unter 752 erwachsenen Leukämiekranken fanden sich 99 Tonsillektomierte, unter 752 streng ausgewählten blutgesinden Vergleichspersonen dagegen 182. Dieses Differenz ist signifikant und weist in die gleiche Richtung wie die bereits früher von Matzker und Klasen vorgelegten Untersuchungen an Leukämiekranken Kindern. Es werden nochmals Nachprüfungen dieser eindrucksvollen Zahlenverhältnisse angeregt [...]
(Matzker J, Steinberg A, "Tonsillektomie und Leukämie im Erwachsenenalter", 1976, Laryngologie, Rhinologie, Otologie - Zeitschrift für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Nummer 55, Seite 721-725)

3. Bestätigung durch reale Besonderheiten

(i) Costa Rica hat als nicht besonders reiches Land eine der weltweit höchsten Leukämie-Raten bei Kindern. Warum ist das so?
In den 70-er Jahren leitete Costa Rica den Militärhaushalt radikal in Ausgaben für Bildung und Medizin um. Die Alphabetisierungsrate ist heute höher als die der USA und die medizinische Versorgung ist hervorragend. Innerhalb von 20 Jahre veränderte sich die durchschnittliche Kinderzahl von 7 Kindern pro Familie auf 2,5. Die hohe Leukämierate bei Kindern kann daher gut damit erklärt werden, dass die sich derart schnell geänderten Lebensumstände die Zahl der Infekte in der Kindheit stark zurückgedrängt haben.
(siehe Mel Greaves, „The ‘delayed infection’ (aka ‘hygiene’) hypothesis for childhood leukaemia”, in Rook S. 248)

(ii) Vor 1989 war die Leukämierate bei Kindern in der DDR nur ein Drittel so hoch wie die in der Bundesrepublik. Nach der Wiedervereinigung stieg diese Rate zwischen 1992 und 1996 um dramatische 25%.
Die plausibelste Erklärung für diesen Sachverhalt ist der ebenfalls dramatische Wechsel in der Kinderbetreuung, der dem Mauerfall folgte. Vor dem Mauerfall kamen nahezu alle Kinder, die älter als 3 Monate waren, zur Kinderbetreuung in staatliche Kinderhorte, mit der Maßgabe, dass die Mutter wieder arbeitet. Das hörte 1989 nahezu abrupt auf, Säuglinge und Kleinkinder blieben zuhause.
(siehe Mel Greaves, „The ‘delayed infection’ (aka ‘hygiene’) hypothesis for childhood leukaemia”, in Rook S. 248)

(iii) Das dritte Beispiel ist die SARS Epidemie in Hongkong.
Auf einen stark verringerten Kontakt mit Infekten, wobei das geringere Auftreten von Masern, Windpocken und Scharlach den geringeren Kontakt mit Infekten bestätigte, folgte der Ausschlag der Leukämierate nach oben. Der Zeitraum der verringerten Infektionsrate betrug nur 1 Jahr.

The SARS incident in Hong Kong in 2003 provides another very unusual circumstance and „natural experiment”. An emergency and provnce-wide government directive ensured that all children stayed at home rather than travelling to attend school. This embargo lasted for one year. So which prediction follows from this with respect to the 'delayed infection' model? This cohort of children with greatly reduced infectious exposure (confirmed by documenting levels of measles, chicken pox and scarlet fever) should immediately be deprived of the 'triggering' infection for ALL and rates for ALL should drop in that same year. A significant drop did indeed occur which the authors interpreted in the light of the „delayed infection” hypothesis.
(Mel Greaves, „The ‘delayed infection’ (aka ‘hygiene’) hypothesis for childhood leukaemia”, in Rook S. 248)